„Aus der Hundeschule bin ich rausgeflogen, weil ich meinen Rüden, mit offensichtlichen Verhaltensauffälligkeiten, nicht kastrieren lassen wollte!“
Diesen Satz hörte ich neulich von einer Dame, die ich bei einem Gassi – Gang getroffen habe. Grundsätzlich denke ich erstmal positiv und gehe davon aus, dass es hoffentlich nicht wirklich so von der Hundeschule gemeint war. Aber es gibt mir doch zu denken, wenn es so bei der Hundehalterin angekommen ist. Deshalb ist es mir hier noch mal ein Anliegen, Dich über die verhaltensbiologische Sicht einer Kastration zu informieren.
Leider ist es weit verbreitet, dass eine Kastration ein tolles Wundermittel sein soll gegen Verhaltensproblematiken, insbesondere Aggressionen.
Beginnen wir da mal bei den Hündinnen. Fakt ist: eine Kastration ist maximal dann bei Verhaltensproblemen zu überlegen, wenn die Hündinnen nur während Ihrer Läufigkeit aggressiv reagieren. Studien* haben sogar ergeben, dass Hündinnen, die das ganze Jahr über aggressive Verhaltensauffälligkeiten zeigen, sich diese dann sogar verschlimmern. Vielleicht habt Ihr ja auch eine Hündin, die so markiert und sogar das Bein wie ein Rüde hebt. Dann wäre es fatal diese Hündin zu kastrieren. Dann würde nämlich der Gegenspieler, das Östrogen, zum vermehrten Testosteronhaushalt verloren gehen und nichts kann die Hündin dann mehr stoppen. Auch gibt es Beobachtungen, dass Aggressionsverhalten welches aus Angst, Unsicherheit oder aus jagdlicher Motivation hervorgerufen ist, sich nach der Kastration verschlimmert. Also keine gute Idee, wenn Du ein Verhaltensproblem lösen möchtest.
Die bereits o.g. Studie* hat ebenfalls hervorgebracht, dass die meisten Hundehalter medizinische Gründe nannten für die Kastration. An zweiter Stelle stehen „Gründe des Hundehalters“ . Was wir daraus jetzt auch immer interpretieren wollen. Als medizinische Gründe werden hier immer wieder Gesäugetumore benannt. Eine der am meisten verbreiteten Krebserkrankungen beim Hund – und die auch durchaus eine hohe Sterblichkeitsrate aufweisen. Wenn wir uns aber vor Augen halten, dass nur ca. 0,2 -1,8% aller Hündinnen überhaupt von einem Gesäugetumor betroffen sind, relativiert sich diese häufig angstmachende Aussage der Befürworter dieser Vorbeugungsmaßnahme.
Ein weiterer oft genannter Grund ist die Angst vor Gebärmutterentzündungen. Diese ist deshalb so gefürchtet, weil Sie häufig zu spät erkannt wird. Um dies möglichst auszuschließen, solltest Du Deine Hündin gut beobachten und Symptome, wie starker Durst, ständiger Harndruck und Appetitlosigkeit insbesondere am Ende der Läufigkeit, ernst nehmen. Hier nur zur Vorbeugung eine Kastration vorzunehmen, die in Bezug auf das Verhalten wirklich zu Problemen führen könnte, ist aus meiner Sicht daher auch nicht gerechtfertigt. Und das Gesetz (TierSchG §6) sieht es nebenbei genauso! Zur weiteren Information kann ich hier noch erwähnen, das mittlerweile festgestellt wurde, dass zu eiweißreiches Futter oder auch Fettleibigkeit in jungen Jahren eher hohe Risikofaktoren für einen Gesäugetumor darstellen. Ein wirklicher medizinischer Grund wäre, wenn Deine Hündin unter Diabetes leidet. Sollte dies der Fall sein, sprich Deinen Tierarzt darauf an, wenn er es nicht schon selbst getan hat.
Und nun zu den Herren der Hundetiere: hier wird ebenfalls durch die Studie* bescheinigt, dass die Mehrheit der Kastrationen aufgrund unerwünschten Verhaltens vorgenommen wurde. Der Grund dieser Annahme, aggressives Verhalten beim Rüden hier besänftigen zu können, liegt wohl an dem Glauben, dass das Testosteron daran Schuld wäre. Dies ist aber in den aller wenigsten Fällen der wahre Grund. Viele der Aggressionen entstehen aus der Angst heraus – und das liegt mit Nichten am Testosteron. Im Gegenteil – hier sind die Stresshormone wie das Cortisol aktiv. Und nimmt man nun das Cortisol hemmende Testosteron dem Rüden, dann kann auch es auch hier leider in die falsche Richtung gehen. Gleiches gilt übrigens auch für futteraggressive Hunde.
Unsere Fellnasen, die in Ihren ersten Jahren schlimme Situationen erlebt haben und die Verteidigung als bestes Mittel für den Eigenschutz erlernt haben, was ist mit ihnen? Auch die werden durch eine Kastration nicht Ihr Verhalten ändern, denn hier spielt auch wieder ein Stresshormon eine Rolle – das Noradrenalin. Dieses fördert im Gehirn u.a. auch den Lernerfolg – also auch hier ist eine individuell angepasste Verhaltenstherapie wesentlich erfolgsversprechender als eine Kastration.
Kastrationen aufgrund Jagdverhalten, erhöhtem Sexual- oder Dominanzverhalten können ebenfalls keineswegs mit einer Kastration verändert werden – hier sollte eher über Führung und Sicherheit nachgedacht werden und an diesen kontinuierlich gearbeitet werden. Und für die wenigen Fälle, für die eine Kastration dann doch medizinisch notwendig sein sollte, ist eine verhaltensanalytische Beratung in Verbindung mit dem Tierarzt empfehlenswert.
Sollte das Ergebnis Pro Kastration ausfallen, dann kann man immer noch vor dem Eingriff mit einem sehr verlässlichen „Chip“ zumindest beim Rüden feststellen, wie und ob sich das Verhalten verändert.
Zusammenfassend sollte eine Kastration aus den o.g. Gründen daher nicht leichtfertig entschieden werden, sondern auf jeden Fall vorab noch einmal aus verhaltensbiologischer Sicht überprüft werden.
Solltest auch Du über eine Kastration nachdenken oder Dir wurde eine Kastration angeraten – dann lass uns gemeinsam diesen Gedanken überprüfen – nutze gern hier das kostenlose Erstgespräch.
*Kastrationsstudie von Dr. Gabriele Niepel