Das Jahr 2024 war voller schöner Blickwechsel – ich durfte viele tolle Hundebesitzer kennenlernen, es machte mir viel Freude sie bei den unterschiedlichsten Verhaltensideen Ihrer Fellnasen und Ihre positiven Entwicklungen begleiten zu dürfen. Aggressionen gegenüber Mensch und Artgenossen, Verlustängste, Hyperaktivität, Geräuschangst, posttraumatische Belastungsstörung (PTBS) und Zwangsstörungen waren im vergangenen Jahr die häufigsten Verhaltensstörungen meiner Fellnasen Klienten. Und noch in diesem Jahr möchte ich Dir von einem besonderen Fall, der mich gerade jetzt kurz vor Weihnachten sehr berührt hat, berichten.
Gestern erreichte mich eine WhatsApp von Limas Frauchen – angehängt ein Video vom Mittagsspaziergang im Park. Das Video zeigt Lima, eine 10 Monate alte amerikanische Zwergdackelhündin, bei der neugierigen Umwelterkundung der Rasenflächen des Parks. Mit Eifer liest Lima sämtliche Nachrichten. Fröhlich und mutig mit liebevoller Unterstützung von Frauchen hüpft sie über Matschpfützen und läuft dann schnell zum nächsten Abenteuer. Ein Radfahrer wird bemerkt, ein kurzes Aufschauen, jedoch dann schnell wieder mit der Nase in das Gras. So viel gibt es für Lima in ihrem jungen Leben noch zu entdecken. Endlich, ja endlich ist diese überhaupt möglich. Jeder der dieses Video sieht würde sagen: „Naja, eben ein ganz natürliches Verhalten eines Junghundes – nichts Besonderes.“
Aber für Lima und ihrem Frauchen – ich möchte es mit Frauchens Worten beschreiben- ist es eine geglückte Mondlandung mit einem Besenstiel!
Was war geschehen?
Am 5. September diesen Jahres rief mich Limas Frauchen an. Ein Hilferuf – sie ist am Rande ihrer Kräfte. Alles hätten sie schon versucht, mehrere Trainer verschlissen, Tierärzte zu Rate gezogen. Aber alle gut gemeinten Ratschläge, Diagnosen und Trainingsmethoden brachten keinerlei Erfolg. Im Gegenteil, Limas abnormales Verhalten, wurde gefühlt täglich schlimmer. Bereits im Welpenalter waren Ruhephasen in Limas Leben eine große Herausforderung. Lima, so beschreibt es ihr Frauchen, ist eine ständig nach Action suchende überdrehte Fellnase. Stetiges durch die Wohnung rennen, dem Ball nachlaufen, den Quitscher unaufhörlich auslösen. Ohne Frauchen ist das Leben für Lima nicht erträglich. Sobald Frauchen aufsteht und den Raum verlässt, folgt Lima ihr auf Schritt und Tritt. Selbst eine kurze Dusche oder der notwendige Toilettengang löste bei Lima herzzerreißendes Fiepen, Jaulen und aufgeregtes Umherlaufen aus.
Limas Schlafpensum zu Hause beläuft sich einzig und alleine auf die Nachtstunden. Gegenüber fremden Menschen ist Lima sehr zurückhaltend, andere Hunde werden zunächst mit lautem Gebell „begrüßt“.
Die stärkste Verhaltensauffälligkeit, so berichtet mir Limas Frauchen, zeige sich jetzt seit über 4 Wochen: Lima kreiselt – es sieht aus, als jage sie Ihre eigene, kurz nach der Geburt amputierte Knickrute. Und das unaufhörlich immer wieder und immer öfter am Tag – nur nachts in Frauchens Armen herrscht Ruhe.
Einen Tag in der Woche darf Lima mit ins Büro. Auch dort kommt Lima nicht zur Ruhe. Drei Tage in der Woche hält sich Lima in einer HuTa auf. Von dort bekam Limas Frauchen die Rückmeldung, dass sich Lima sehr gut in der Hundegruppe integriert hätte und auch regelmäßig nach einem Boxentraining ihren Mittagsschlief hielte. Eine kreiselnde Lima würde man hier in der HuTa nicht kennen.
Natürlich vereinbarten wir kurzfristig einen persönlichen Termin. Aus dem mir vorab zugesandten Anamnesebogen mit vielen Fragen zu Limas Vita, Gesundheit, Verhalten, Umfeld, Futter und weiteren Verhaltensauffälligkeiten, konnte ich mir schon ein erstes Bild von Lima machen.
Doch erst der persönliche Besuch, zeigte mir das große Leid der kleinen Fellnase. Während meines über einstündigen Aufenthaltes kreiselte Lima, bis auf kurze Unterbrechungen bei dem ein oder anderen Suchspiel, ununterbrochen. Auch der gemeinsame Spaziergang begann mit Erstarren dann 10 Meterlaufen, kreiseln, laufen, kreiseln und steigerte sich am Eingang des Parks im Laub in eine Art „Brummkreisel. Da half nur noch auf den Arm, fest an sich drücken, um Lima irgendwie zu beruhigen.
Als es dann wieder nach Hause ging, wurde das Kreiseln wieder etwas weniger. Eine abschließende Hundebegegnung vor der Haustür zeigte mir dann auch Ihr höchst aufgeregtes Verhalten, gekennzeichnet durch vehementes Verbellen, gegenüber Artgenossen. Während des gesamten kurzen Spazierganges konnte Lima vor lauter Aufregung auch nicht ein Kommando wirklich hören, geschweige denn ausführen – der Fluchtmodus hinderte sie daran. Auch die so wichtige Umwelterkundung fand kaum statt. Zuhause wieder angekommen wurde noch ein paar Mal gekreiselt bis Lima irgendwann in Frauchens Armen für ein paar Minuten zur Ruhe kam.
Dies war nur ein einstündiger Ausschnitt aus Limas Hundealltag – könnt Ihr Euch dies den ganzen Tag vorstellen? Sicher nicht – unvorstellbar, nicht wahr?
Es war mehr als nötig Lima und natürlich auch Frauchen von diesem Stress zu befreien. Also machte ich mich umgehend daran aus den vielen Informationen, den Videos und den eigenen Eindrücken, die Ursache zu erforschen, einen „Erst-Hilfe-Plan“ und einen anschließenden ersten Therapieplan zu entwickeln.
Das Kreiseln an sich, muss beim Hund nicht gleich eine Verhaltensauffälligkeit sein – bei Welpen kann dieses Verhalten kurzfristig auftauchen, Hunde kreiseln manchmal, bevor sie ihr Geschäft machen, bevor sie sich in Ihrem Körbchen zum Schlafen legen, oder auch einfach mal ein kurzer Dreh vor Freude. All diese Verhalten sind normal und erklärlich. Eine Zwangsstörung liegt so wie bei Lima allerdings immer dann vor, wenn das Kreiseln ohne bestimmten Grund, mehrmals täglich und exzessiv gezeigt wird.
Der erste Gang sollte dann immer zum Tierarzt des Vertrauens sein – in Limas Fall, war dies ja bereits geschehen. Die Klinik vermutete damals ein Phantomschmerz an der Stelle der amputierten Knickrute. Jedoch zeigte Lima auch auf diese medikamentöse Behandlung – wie auch den zuvor vielen Trainingsmethoden, keinerlei Besserung.
Daher war mein zusammenfassendes Anamneseergebnis – es muss in erster Linie eine Zwangsstörung auf Grund von zu hohem andauerndem Stress sein. Und mittlerweile wahrscheinlich schon ein erlerntes Verhalten, welches Lima nutzt, um den hohen Adrenalin und Cholesterinspiegel zu senken. Das hinter Ihrem Schwanz hinterherjagen schüttete Endorphine aus, sie gelten auch aus Rausch-Hormone, die Glücksgefühle entfachen. Und damit dem Stresshormon entgegen wirken.
Das Fatale war jedoch, dass der ganze Tag für Lima von Stresssituationen (nicht allein bleiben können, Lärm auf der Straße, Hundebegegnungen, Reizüberflutungen, wenig Schlaf) gespickt war.
Eines jedoch war verwunderlich – warum kreiselte Lima angeblich nicht in der HuTa? Dies wollte ich nun auch noch mit einem persönlichen Besuch in dieser HuTa erfahren. Was ich dort in der HuTa erlebte, erklärte jedoch auch die Aussage, dass Lima dort nicht kreiselt. Während meines 2- stündigen Aufenthaltes dort, erlebte ich eine Lima, die nicht nur auf Grund des Kuddel- Wetters auf dem kalten Steinfußboden zitterte, sondern auch erstarrte, sobald einer der ca. 15 Hunde in Ihre Nähe kam. Alles ließ sie irgendwie über sich ergehen – sie war die ganze Zeit über eigentlich nur in einem Überlebensmodus – und die Schwäche zu kreiseln, konnte sie deshalb dort in keinem Fall zeigen. Das war der Grund, warum man sie in der HuTa nicht kreiselnd kannte. Sie hatte sich integriert, indem sie so wenig wie möglich auf sich aufmerksam machte.
Und auch dieses Aufstauen der Emotionen brach dann in Form des Kreiselns wieder bei Lima auf dem Nach-Hause-Weg hervor.
Da ich jedoch sicher war, dass wir dieses Zwangsverhalten wahrscheinlich nicht ohne medikamentöse Unterstützung zu Beginn der Therapie effektiv behandeln können, bat ich meine liebe Kollegin und Verhaltenstierärztin, von der ich in den letzten Jahren viel gelernt habe, um Ihre zweite Meinung und Ihre tiermedizinische Unterstützung zu diesem Fall.
Auch nach ihrer gründlichen Anamnese waren wir uns beide einig – eine Änderung der Lebenssituation für Lima in Bezug auf den HuTa Aufenthalt, musste der erste Schritt sein. Denn hier lag der größte Stressor für Lima. Auch Fahrten mit Straßenbahn und Zügen, wie auch stressige Hundebegegnungen sollten in den ersten Tagen auf ein Minimum reduziert werden. Es war dringend notwendig, Limas Stresspegel so weit nur möglich herunterzufahren, damit auch die leichte medikamentöse Unterstützung greifen kann.
Direkt nach einem gemeinsamen ZoomMeeting , in dem wir unser Resümee und Ideen zur Verhaltensänderung mitteilten, organisierte Limas Frauchen mit freundlicher Unterstützung Ihres Arbeitgebers (Erlaubnis zu Homeoffice), dass Lima ab sofort nicht mehr in die HuTa musste. Parallel wurden alle Therapiebausteine zur Steigerung der Selbstwirksamkeit und des Selbstbewusstseins konsequent weitergeführt. Auch lernte Limas Frauchen immer mehr Limas Wünsche an Ihrer Körpersprache auf Grund des Blickwechsels zu erkennen, selber Ideen zur Stressreduzierung zu entwickeln und für Lima damit auch verantwortungsvoll und sicher zu reagieren.
Und dann schickte mir 4 Wochen später Limas Frauchen dieses Video mit einer glücklich schnuppernden neugierigen Dackelhündin Lima aus dem Park, wo Sie vor ein paar Wochen noch wie ein Brummkreisel durch das Laub fegte.
Natürlich ist damit noch nicht für immer das Verhalten normal, denn jetzt beginnt die Zeit des Lernens. Jetzt kann Lima Ihre Umwelt erkunden, positive Erfahrungen machen und gemeinsam mit Frauchen jeden weiteren Fortschritt feiern. Denn erst jetzt ist das kleine Gehirn der kleinen Dackeline aufnahmebereit. Auch muss noch weiterhin nach einer lieben Hundesitterin für den ein oder anderen Tag gesucht werden – denn das Homeoffice wird wahrscheinlich kein Dauerzustand bleiben dürfen. Und auch sind weitere Therapiebausteine nötig, um auch entspanntere Hundebegegnungen und das „Allein bleiben“ ab und an zu ermöglichen. Aber die Mondlandung ist geglückt – da ist es doch bis zum Jupiter nur ein Katzensprung!
Für mich und ich bin sicher auch für Lima und Limas Frauchen, war dieser Quantensprung wirklich eines der schönsten Weihnachtsgeschenke!
Ich danke Limas Frauchen, dass ich diese ersten Seiten von „Limas Biographie“ veröffentlichen darf. Gern möchte ich auch Dir als Hundehalter einer verhaltensauffällige Fellnase Mut machen. Mit einem Blickwechsel kannst auch Du in Deinem MenschHundTeam für mehr Ruhe, besserer Kommunikation und entspannterem Verhalten sorgen.
Ich freue mich darauf auch Dein MenschHundTeam unterstützen zu dürfen. In diesem Sinne – entspannte Feiertage und vielleicht hören und sehen wir uns ja gleich im Neuen Jahr 2025!
Festliche PfotenGrüße Carmen